BGR Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe

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Der Infraschall von Windenergieanlagen

Land / Region: Deutschland

Projektanfang: 01.04.2004

Projektende: 30.06.2022

Projektstand: 14.12.2021

Motivation

Moderne Windenergieanlagen (WEA) mit Leistungen von einigen Megawatt (MW) generieren aufgrund ihrer Größe und der geringen Rotationsgeschwindigkeit der Rotorblätter einen Großteil ihrer akustischen Emissionen im Infraschall-Bereich unterhalb von 20 Hz. In diesem nicht vom menschlichen Ohr wahrnehmbaren Frequenzbereich pflanzt sich der Schall deutlich weiter fort als im hörbaren Bereich und kann in mehreren Kilometern Entfernung noch von empfindlichen Messgeräten wie etwa den Mikrobarometern der Infraschall-Stationen der BGR registriert werden.
Dabei beeinträchtigen regelmäßige akustische Signale nahegelegener WEA die direkten Stationsaufzeichnungen von Luftdruckvariationen im Infraschall-Bereich und damit auch die Leistungsfähigkeit betreffender Stationen zur Detektion von Infraschall-Ereignissen. Dies betrifft auch die Signaturen von Explosionen im Rahmen der Überwachung des Kernwaffenteststopps (CTBT). Mit der Ratifizierung des CTBT im Jahr 1998 hat sich die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verpflichtet, die Qualitätsanforderungen für die Messungen von Infraschall zu erfüllen. Für die BGR als Betreiber der deutschen CTBT-Infraschall-Stationen ist eine genaue Kenntnis und Quantifizierung der Einflüsse von WEA auf Infraschall-Messungen von großer Bedeutung. Daher befasst sich die BGR seit 2004 mit dem Thema. Ziel war es auf der Grundlage von Messungen Empfehlungen für einen Mindestabstand zwischen Infraschall-Stationen und WEA zu entwickeln, die einen ungestörten Betrieb dieser CTBT-Stationen gewährleisten können. Auf dieser Grundlage konnte die BGR Mindestabstände zwischen ihren Infraschall-Stationen und WEA festlegen, die sowohl Größe als auch Leistungsfähigkeit der WEA betrachten. Behördliche Berücksichtigung finden diese Ergebnisse beispielsweise im Bayerischen Windatlas (Energie-Atlas Bayern - Wind), der einen Mindestabstand von 15 km zu der Messanlage I26DE für den Bau von WEA vorsieht.


Auswertung der Infraschall-Aufzeichnungen und Bestimmung der Schalldruckpegel

Die BGR hat in der Vergangenheit ihre Arbeiten zum Einfluss von WEA auf Infraschall-Messanlagen auf nationalen und internationalen Fachtagungen präsentiert und als Bericht auf den eigenen Webseiten veröffentlicht. Im Jahr 2017 folgte eine Publikation, die nach einem Peer Review im international anerkannten Fachjournal veröffentlicht wurde (Pilger & Ceranna 2017; https://doi.org/10.1016/j.jsv.2016.10.027). Auch die Methode zur Analyse der Signalenergie als Funktion der Frequenz wurde unter Beteiligung der BGR im Peer-Review-Verfahren in der anerkannten Fachzeitschrift Pure and Applied Geophysics (Pageoph) veröffentlicht (Brown et al. 2012; https://doi.org/10.1007/s00024-012-0573-6). Darauf beruhen die von der BGR angewendeten Modellierungen zur Abschätzung der Störsignale einer WEA. Diese Signale entstehen beim Passieren des Flügels am Turm. Die Abschätzungen dieser mittleren Störamplituden sind die Grundlage für die Empfehlungen der Mindestabstände zu den CTBT-Infraschall-Stationen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand sind damit sowohl die Messmethode als auch die Ergebnisse zur Empfehlung von Störamplituden und Mindestabständen zu den CTBT-Infraschall-Stationen international wissenschaftlich geprüft und anerkannt.
Neuere wissenschaftliche Untersuchungen von Baumgart et al. (2021; https://doi.org/10.1016/j.jsv.2021.116310) sowie der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig (PTB, März-2021 https://www.ptb.de/cms/fileadmin/internet/fachabteilungen/abteilung_1/1.6_schall/1.63/Stellungnahme_PTB_-_Pilger_et_all_2017.pdf) haben darauf hingewiesen, dass die Bestimmung der Schalldruckpegel der BGR zu hoch und damit fehlerhaft sei. Fachlich-wissenschaftliche Diskurse sind ein zentraler Baustein im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Entsprechend den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis, wie sie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) vorgibt, umfasst ein wissenschaftlicher Diskurs neben der Forschung die Verarbeitung der Forschungsergebnisse, deren Neuinterpretation und Anwendung sowie das Verfassen von kritischen Gegenentwürfen und synthetischer Gesamtdarstellungen. Dem sieht sich die BGR als Ressortforschungseinrichtung verpflichtet. Entsprechend wurden die in der Vergangenheit bestimmten Ergebnisse und Empfehlungen von der BGR geprüft. Dabei wurde als Ergebnis befunden, dass die BGR fehlerhaft bestimmte Schalldruckpegel in ihrer Publikation von Pilger und Ceranna aus dem Jahr 2017 im JSV veröffentlicht hat. Diese Pegelwerte waren um 36 dB zu hoch, was einem Faktor von etwa 64 in den Amplitudenwerten entspricht. Entsprechend wurde ein Korrigendum bei JSV eingereicht, das mittlerweile akzeptiert und veröffentlicht ist (Pilger & Ceranna 2021; https://doi.org/10.1016/j.jsv.2021.116636).


Schlussfolgerungen

Unsere Prüfungen kommen dabei zu folgenden Schlussfolgerungen, die ausführlich in einem fact sheet (Infraschall und Windenergie. BGR-Fact Sheet (2021) (PDF, 1 MB)) beschrieben und hier in Kürze zusammengefasst sind.

  1. Die Registrierung von Infraschall-Signalen von WEA an hochempfindlichen Mikrobarometern ist noch in mehreren 10‘er Kilometern Entfernung wissenschaftlich belegt. Daher wären solche Störsignale auch im Abstand von mehreren Kilometern an den deutschen CTBT-Infraschall-Stationen registrierbar und würden die Empfindlichkeit der Messsysteme beeinträchtigen.
  2. Die BGR hat 2017 eine redigierte Publikation ihrer Messungen im Journal of Sound and Vibration (JSV) veröffentlicht, in der auch geeignete Mindestabstände für unbeeinträchtigte Messungen quantifiziert werden. Als Maß für die Stärke des Infraschalls einer WEA wurden in der Veröffentlichung Schalldruckpegel gezeigt. Diese enthielten jedoch einen systematischen Fehler und waren 36 dB zu hoch. Die BGR hat die Editoren von JSV kontaktiert, ein Korrigendum zu ihrer Publikation Pilger & Ceranna (2017) zu veröffentlichen, um auf diese Weise den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zu unterstützen. Dieses liegt inzwischen als Online Veröffentlichung mit Peer Review vor (Pilger & Ceranna 2021; https://doi.org/10.1016/j.jsv.2021.116636. Der Diskussionsbeitrag von Baumgart et al. (2021) und die Replik von Pilger & Ceranna werden vom JSV in einer der kommenden Ausgaben parallel veröffentlicht – voraussichtlich in der Dezemberausgabe 2021.
  3. Da die den vorherigen BGR-Studien zugrundeliegenden Leistungsdichtespektren unbestritten und im Rahmen des Peer Review anerkannt sind, werden in diesen Überarbeitungen sowie zukünftigen Ausführungen ausschließlich diese spektralen Darstellungen herangezogen.
  4. Die Schätzung der Störamplituden erfolgte mithilfe eines von Viterna in den späten 70’er und frühen 80’er Jahren bei der NASA entwickelten Modells (siehe Pilger & Ceranna 2017), die mit Daten aus den Messungen in 2004 validiert wurden. Den Berechnungen des Viterna-Modells für unterschiedliche WEA-Typen und Entfernungen zur Folge wird ein Mindestabstand von 15 km von WEA zur deutschen Infraschall-Station I26DE empfohlen. Die Kernaussage der BGR-Studien zwischen Mindestabstand von WEA und Infraschall-Station behält somit ihre Gültigkeit.
  5. Im Zeitraum von Mai bis August 2021 wurden in Zusammenarbeit mit der PTB an zwei Windparks, bestehend aus modernen WEA mit elektrischen Leistungen im MW-Bereich, Messungen durchgeführt, um unter anderem auch die Nutzung des Viterna-Modells eingehender zu validieren. Mithilfe der Infraschall-Messdaten soll dabei ferner der spezifische Charakter der Störsignale von WEA und die Auswirkung auf Detektionen von CTBT-relevanten Ereignissen weiter untersucht werden.
  6. Die in den früheren BGR-Studien untersuchte Windenergieanlage (Typ Vestas V47) hat eine nominelle Maximalleistung von 660 kW. Die mittlere Leistung im untersuchten Zeitraum 2004 lag bei rund 200 kW, die Energieausbeutung, die sich aus den gemessen Windgeschwindigkeiten und der Kennlinie des Herstellers ergeben, stimmen mit den Betreiberinformationen überein.
  7. Die Messungen und Analysen der BGR von Infraschall-Signalen einer WEA dienen ausschließlich dazu, ihr Störpotenzial für hochempfindliche Mikrobarometer abzuschätzen. Die verwendeten Darstellungen der Leistungsdichtespektren lassen keine Rückschlüsse auf die Einwirkung von WEA-Infraschall auf Menschen zu.
  8. Die Darstellungsweisen von Leistungsdichtespektren als (a) in der Frequenz sehr fein, (b) gleitende Mittelwerte oder (c) als bandweise Mittelwerte sind äquivalent und richten sich nach der zugrundeliegenden Fragestellung. Für die Beurteilung der Einwirkung des Infraschalls von WEA auf den Menschen sind hingegen Terzbänder geeignet und nicht Leistungsdichtespektren mit sehr feiner Auflösung im Frequenzbereich, wie sie für die Messaufgaben der BGR erforderlich sind. Es geht hierbei nicht um die Reproduktion der Auswertung Dritter, und insbesondere auch nicht um eine gesonderte Art der Darstellung von Schalldruckpegeln, sondern um die Tatsache, dass es mehrere äquivalente Darstellungen des Leistungsgehalts von Infraschall einer WEA gibt.

    Eine Verwendung von Leistungsdichtespektren an Stelle von Schalldruckpegeln für die Beurteilung des Einflusses von Infraschall auf den Menschen wäre irreführend, da diese Darstellungsform dafür ungeeignet ist.

Aktuelle Arbeiten: Feldmessungen mit Mobilstationen im Jahr 2021 (BEH / GAG)


Bisherige Arbeiten: Feldmessung mit Mobilstationen im Jahr 2004 (HUFE) und kontinuierliche Messung mit einem Infraschall-Array ab 2005 (IGADE)

  • Im Jahr 2004 wurde erstmalig eine mobile Infraschall-Messkampagne an einer einzelnen, freistehenden Vestas V47 Windenergieanlage nahe dem Ort Hufe 20 km nördlich von Hannover durchgeführt. An acht Standorten entlang eines etwa 2 km langen West-Ost-Profils wurden die akustischen Signale der Windenergieanlage mit Mikrobarometern gemessen.
  • Seit dem Jahr 2005 betreibt die BGR neben den IMS-Infraschall-Stationen I26DE und I27DE zur Überwachung des CTBT eine weitere Infraschall-Station IGADE nördlich von Bremen. Diese Station mit vier fest installierten Mikrobarometern dient als Test- und Trainingsstation im CTBT-Kontext und erhebt seither nahezu kontinuierlich Infraschall-Daten. Aufgrund ihrer Lage in Norddeutschland befindet sich die Station in naher Umgebung zu einer wachsenden Anzahl von Windenergieanlagen

Detaillierte Ausführungen zu den Messungen und Ergebnissen der Feldkampagne 2004 (HUFE) und der kontinuierlichen Infraschallerfassung ab 2005 (IGADE): Infaschallmessungen HUFE und IGADE (PDF, 974 KB)


Zusammenfassung der Arbeiten

Die Berechnung der entfernungsbedingten, akustischen Einflüsse von Windenergieanlagen auf Infraschall-Stationen ist für die BGR als Betreiber der Infraschall-Station I26DE im Bayerischen Wald, die Teil des internationalen Überwachungssystems zur Einhaltung des CTBT ist, von großer Bedeutung, um eine ungestörte Registrierung an dieser Station zu gewährleisten. An Hand theoretischer Abschätzungen und experimenteller Beobachtungen zeigt sich, dass ein Mindestabstand von 15 km unveränderte Gültigkeit besitzt, um den störungsfreien Betrieb dieser Messstation zu gewährleisten. Die zur Abschätzung verwendeten Methoden und Darstellungen sind nicht geeignet zur Bestimmung der Infraschall-Einwirkung auf den Menschen.


Weiterführendes Material, Referenzen und Links

Kontakt:

    
Dr. Lars Ceranna
Tel.: +49-(0)511-643-2252
Fax: +49-(0)511-643-3663

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